Engel der Weihnacht

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Einmal hatten die Engel beschlossen, die Welt zu verlassen. Das war auch kein Wunder, angesichts der Entwicklungen auf dem Planeten. Es herrschten Hass und Gewalt, Egoismus, Neid und Zwietracht. Es gab viele Kriege auf der Erde. Auf Hunger und Armut fanden die Menschen keine Antwort. Hunger und Armut waren nicht einmal mehr eine Frage wert.

Es war eine graue Zeit auf dem blauen Planeten.

Eine hoffnungslose Zeit.

So hatten die Engel den Mut verloren. Am schlimmsten ging des den Engeln des Friedens. Wie sehr hatten sie sich bemüht, ihre Botschaft unter den Menschen zu verbreiten: „Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen“.

Immer und immer wieder hatten sie es versucht. Auf allen Kontinenten, in allen Sprachen, unter allen Religionen, bei den Jungen und bei den Alten. Das Resultat war erbärmlich. Die Engel des Friedens waren verzweifelt.

Dann waren da die Schutzengel. Sie stellten bei weitem die größte Zahl unter den Engeln. Vormals noch stark, strahlend und unüberwindbar in der Hoffnung; heute zeigten sie sich niedergeschlagen. Tiefe Sorgenfalten verunstalteten ihre sonst stets so zuversichtlichen Gesichter.

„Wie sollen wir helfen, wenn die Menschen ihre Erde zerstören?“, riefen sie, und: „Wen sollen wir schützen? Die Zerstörer?“

Und da waren die Engel der Liebe. Sie waren bestürzt über zweierlei: Erstens über die Menschen. Die Menschen, die die Liebe zu verlieren schienen. Neid, Hass und Missgunst hatten unter den Menschen ungeahnte Erfolge erzielt. Der eigene „Spass“, das kurzfristige Vergnügen und das Bestreben, immer mehr besitzen zu wollen, bedeutete ihnen mehr als Werte wie Fürsorge, Vertrauen und – ja, sogar die Liebe.

Zweitens waren die Engel auch um die Liebe selbst besorgt. Wenn unter den Menschen alles mehr zählt als die Liebe, schlimmer noch, wenn die Liebe bei den Menschen den Wert an sich verliert, was sollen Engel der Liebe dann noch bei den Menschen?

Dann sprach der Engel der Weihnacht:

„Auch in meinem Bereich sieht es nicht gut aus. Weihnachten ist heute nur noch Geschäftemacherei. Ausufernder Schmuck, Glitzer und Tand bestimmen das Fest. Niemand will die Not und die Armut um uns herum sehen. Die Seele der Weihnacht scheint völlig vergessen.

Doch, ihr Engel, ich frage euch, war das damals nicht ebenso? Damals, als der Kaiser zur Zählung rief, und alle kamen. War es nicht so, dass kein Platz in der Herberge war? Und war es nicht so, dass in bitterem Elend das Wunder geschah? Waren es nicht endlich der Frieden, der Schutz und die Liebe, die von einem kleinen Stall in Bethlehem ausgingen, die diese Welt verändert haben? Und – waren es dann letztlich nicht die Menschen, die die Botschaft der Heiligen Nacht in die Welt getragen haben?“

Die Engel bedachten die Worte gut.

Und sie zögerten nicht, den Menschen zu helfen.

[ Quelle: Günter Raake in Engel der Weihnacht ]

 

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